Kino ohne Talent
roman

Das Grauen der Tiefe: Kapitel IX

09.09.2010 - 12:42 von Redaktion

Kette hielt sich eine kalte Bierflasche auf sein blaues Auge. Nachdem er den Selbstgebrannten abgesetzt hatte, hatte Thul ihn mit einem rechten Haken ins Reich der Träume befördert. Als er wieder aufwachte, schraubte Thul einarmig an seinem Wasseraufbereiter herum.
Es gab zwei Wasserquellen in Altberlin, eine war das Abwasser von Neu-Berlin, die andere waren immer wieder auftauchende Wasserkanister, die aus der Oberwelt geliefert wurden. Wer das gelieferte Wasser trank, wurde sehr schnell apathisch, und - wenn er es dann nicht mehr trank - sehr schnell sehr aggressiv. Einige Chemiecracks in den Marzahner Slums fanden heraus, dass dem Kanisterwasser spezielle Chemikalien beigemischt waren. Sie beschlagnahmten es und verkauften es von da an auf dem Drogenmarkt. Jene, die davon abhängig waren, schlugen sich dafür gegenseitig die Schädel ein und der Rest, abgesehen von den Drogenclans, machte einen großen Bogen um dieses Zeug und begnügte sich mit der trüben Brühe, die da aus ihren Filtern floss.
Bei den meisten waren es nur ein paar Siebe, die das Gröbste herausfilterten. Wer es konnte, kochte es danach noch ab. Nicht so Thul, der war davon besessen und hatte monatelang an seinem Aufbereiter gebastelt. Das Einzige, was aus der Höllenmaschine heraus kam war - Wasser. Kaltes, klares Wasser, keine Farbe, kein Geschmack. Das Ding filterte Wasser aus allem raus, was man Flüssiges rein schüttete. An Thuls zwanzigstem Geburtstag hatte Sense bei seiner Party oben Wodka reingeschüttet, um zu gucken ob da auch nur Wasser rauskam. Am Ende kam auch wirklich alkoholfreier Wodka raus, der Alkohol war nämlich noch in der letzten Filterkammer, über dem Kocher. Das Ergebnis war ein riesige Explosion, die Thuls komplette Werkstatt in die Luft sprengte und ein von Thul halbtot geprügelter Sense.
Kette fragte Thul: "Warum?"
"Darum! Sei froh, dit ick dir keenen Zahn ausjeschlajen hab!"
"Ooch wieda wahr. Und nu?"
"Janz einfach, ick besetze wieder die Jatling und jeb' dir Feuaschutz, während du raus jehst, die fehlnd'n Minen ersetzt, und die Leichen nach Beute durchsuchst", sagte Thul.
"Du hast derzeit nur eenen Arm zur Vafüjung!", erwiderte Kette.
"Na und? Die Jatling hat ja auch nur eenen Abzug", konterte Thul.
"Du weeßt noch, wat passiert is, als du uns dit letzte Mal einarmich Feuaschutz jejeben hast? Du hast uns alle fast abjeknallt, da du die Jatling nich unter Kontrolle hattest."
"Ja, aber heute iss die Situation andas. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dit ick heute meene eijenen Leute üban Haufen schieße, ist sehr viel jeringa als damals. Außerdem: Je mehr Gegna dir angreif'n, umso jeringer wird die Chance, dit ick dir treffe."
"Theoretisch", sagte Kette zweifelnd.
"Theoretisch", grinste Thul zurück.
Kette ging zur Tür und wartete, bis Thul das Geschütz feuerbereit hatte. Als er soweit war, schlich Kette so unauffällig wie möglich auf die Freifläche vor Thuls Werkstatt und vergrub als erstes die Mine.
Er wollte gerade eben noch die Erde, mit der er die Mine verborgen hatte, festklopfen, als Thul über den Lautsprecher zu ihm sagte: "Dit iss jezz nich wirklich dein Ernst oda?"
Kette kniete mit hoch erhobenem Spaten, mit dem er ursprünglich die Erde verdichten wollte, und hielt inne: "Jezze wo de dit sachst, nee nich wirklich. Dit jeht immer so uff die Ohan."
Er senke den Spaten.
"Siehste, also räum' de Toten aus und komm zurück!", trieb Thul ihn an.